der muerzpanther
DIE ZWEI GESICHTER EINES SCHMETTERLINGS Die   beste   Jahreszeit,   um   das   Insekt   des   Jahres   zu   küren   ist   der   Winter.   Denn   in   dieser haben   Entomolgen   Zeit,   sich   über   die   Würdigung   eines   Insektes   lange   den   Kopf   zu   zerbrech- en. Mit durchschlagendem Erfolg: das Jahr 2023 ist das Jahr des Landkärtchens. Dazu    beigetragen    hat    sicherlich    der    besondere    Umstand,    dass    dieser    Edelfalter    zwei Gesichter   hat.   Damit   ist   aber   nicht   die   Ober-   oder   Unterseite   der   Flügel   gemeint,   sondern die   unterschiedliche   Erscheinungsform   der   Adulten,   abhängig   ob   sie   im   Frühjahr   oder   im Sommer   geschlüpft   sind.   Das   Tier   mit   dem   ungewöhnlichen   Namen   verblüffe   mit   seinem variablen   Aussehen“ ,   hieß   es   bei   der   Bekanntgabe   am   Mittwoch   in   Müncheberg,   Deutsch- land.   Araschnia   levana.    Ungewöhnlicher   Name?   Auf   jeden   Fall!   Gab   es   doch   im   alten   Rom die   Sitte,   dass   dem   mutmaßlichen   Vater   das   Neugeborene   vor   die   Füße   gelegt   wurde,   wenn er   nicht   sicher   war,   ob   das   Kind   wirklich   von   ihm   war.   Hob   der   Mann   das   Kind   auf   (levare bedeutet    aufheben),    erkannte    er    die    Vaterschaft    formell    an.    Daher    wurde    die    Göttin Levana    -    die    Schutzgöttin    der    Neugeborenen    -    von    den    Müttern    angefleht,    damit    ihr Ehe/Mann das Ritual des levare durchführe.
ACHTUNG! Dieser Artikel enthält folgende Ausdrücke:
 NACH OBEN NACH OBEN
Bereits   vor   250   Jahren   hat   Carl   von   Linné   einen   Papilio   levana    und   einen   Papilio   prorsa   beschrieben.   Er   glaubte   aufgrund   des   unterschiedlichen   Erscheinungsbildes   noch   zwei Arten vor   sich   zu   haben.   Dennoch   hat   er   bereits   -   wie   dem   Band   51   der   entomofaunistischen Gesellschaft   in   Deutschland   aus   dem   Jahre   2007   zu   entnehmen   ist   -      die   enge   „Verwandt- schaft“   berücksichtigt:   mit   levana   bezeichnet   er   einen   früh   im   Jahr   -   mit   Erwachen   der Natur   -   fliegenden   Falter.   Das   lateinische   prorsus    bedeutet   „spät“,   damit   wird   die   später   im Jahr    fliegende    Morphe    bezeichnet.    Mit    Morphe    wird    übrigens    der    Erscheinungs-,    der Phänotyp   einer   Art   bezeichnet.   60   Jahre   später   erfuhr   der   Name   eine   Änderung   durch   den Insektenforscher   Jakob   Hübner,   seitdem   trägt   der   Schmetterling   die   heute   noch   gültige Form:    Gattung    Araschnia,    Art    levana     oder    prorsa .    Der    Name    Araschnia    ist    aus    dem griechischen   Wort   Arachnia    hergeleitet   und   bedeutet:   Spinne.   Der   Bezug   geht   auf   die netzartige   Struktur   der   Flügelzeichnung   -   vor   allem   die   der   Unterseite   -   dieser   Gattung zurück.    Der    deutsche    Name    rührt    von    der    relativ    bunten    und    von    zahlreichen,    unter- schiedlich   dicken   Linien   durchzogene   Flügelunterseite,   die   an   eine   Landkarte   erinnert. Verkleinert schlüpft daraus das Landkärtchen.
Wie   vieles   in   der   Natur   gibt   auch   der   "Saisondimorphismus"   des   Landkärtchens   den   Wissen- schaftern    noch    Rätsel    auf.    Denn    während    die    Frühjahrsgeneration    eine    orangefarbene Grundfärbung   mit   schwarzen   Zeichnungselementen   besitzt,   sind   die   Tiere   der   Sommerge- neration   überwiegend   schwarz   mit   einem   gebogenen   weißen   Band   auf   Vorder-   und   Hinter- flügel.    "Das    Landkärtchen    zeigt    wunderbar,    dass    auch    bei    weit    verbreiteten    und vermeintlich   gut   bekannten   Insekten   noch   viel   Forschungsbedarf   besteht.   Wir   wissen   zwar, was   die   Ausbildung   der   unterschiedlichen   Farbmuster   steuert,   nicht   aber   welchen   Zweck diese   wirklich   haben" ,   sagte Thomas   Schmitt,   Vorsitzender   des   Kuratoriums   des   Senckenberg Deutschen Entomologischen Instituts. Der   Begriff   Saisondimorphismus   kam   Mitte   des   19.   Jahrhunderts   durch Alfred   Russel   Wallace auf,   der   zeitgleich   mit   seinem   Landsmann   Charles   Darwin   -   aber   unabhängig   von   ihm   -   die Theorie   der   natürlichen   Selektion   begründete.   Die   Gründe   für   die   unterschiedliche   farbliche Entwicklung   liegen   in   den   Umweltbedingungen,   wobei   die   Ökomorphose   photoperiodisch, thermisch   oder   durch   andere   Ökofaktoren   bedingt   sein   kann.   Im   Falle   des   Landkärtchens spielt   die   Tageslänge   die   entscheidende   Rolle.   Diese   ist   im   Frühjahr   kürzer   und   bringt   in   der levana    Art   in   der   Grundfarbe   ein   leuchtendes   Gelbbraun   mit   schwarzen   Flecken   durchsetzt hervor.   Die   prorsa   Art   besticht   durch   eine   Erhöhung   der   roten   Pigmentanteile   mit   einem weißlichen   Band   auf   den   Hinterflügeln,   das   sich   auf   den   Vorderflügeln   mit   gleich   gefärbten Flecken fortsetzt. Einmalig   ist   auch   die   Überwinterung   als   Puppe   unter   den   europäischen   Nymphalidenarten, daher   erscheint   die   1.   Generation   witterungsabhängig   ab   Ende   April,   die   2.   Generation fliegt   dann   ab   Anfang/Mitte   Juli.   Die   endgültige   Größe   und   Festlegung   der   Variabilität   der soweit   bereits   festgelegten   Form   -   entweder   levana   oder   prorsa   -   wird   im   Weiteren      durch die während der frühen Puppenruhe herrschende Temperatur bestimmt.
Araschnia levana - young caterpilars, junge Raupen, die an den zwei Kopfdornen („Hörnern“) relativ leicht zu bestimmen sind. Bildquelle: pixabay.
Eine   letzte   Besonderheit   darf   noch   hinzugefügt   werden:   Die   Gelegeform   ist   von   keiner anderen   europäischen   Art   bekannt   und   somit   artcharakteristisch.   Die   Eier,   die   auf   Brenn- nesseln   in   Türmchenform   abgelegt   werden,   sind   grün   gefärbt   und   längsgefurcht,   vor   dem Schlupf   verfärben   sie   sich   über   gelb   nach   schwarz.   Die   Raupen   tragen   die   charakteristischen schwarzen   Hörner   auf   dem   Kopf,   weswegen   man   sie   auch   leicht   von   den   Raupen   der   ähnlich gefärbten Tagpfauenaugen unterscheiden kann. Der    Landkärtchenfalter    ist    ein    vielseitiger    und    eifriger    Blütenbesucher,    mit    starker      Präferenz   zu   weißen   und   gelben   Blüten.   Es   ist   schön,   dass   dieser   Falter   ein   sehr   weites Verbreitungsgebiet   hat   und   auch   im   Mürztal   anzutreffen   ist,   und   ich   freue   mich   bereits jetzt,   den   Falter   mit   Geheimnissen   und   den   zwei   Gesichtern   in   unserer   Gegend   in   all   seinen Erscheinungsformen anzutreffen: das Landkärtchen.
Links sehen Sie die Flügeloberseite der Sommergeneration, Araschnia prorsa. Sie unterscheidet sich gänzlich von der Erscheinungsform der ein paar Monate früher geschlüpften Artgenossen. In Farbe und Zeichnung. Die levana Form sehen Sie auf der home Seite Rechts: Die namensgebende Unterseite der Flügel, die mich immer besonders fasziniert hat. Fotos: der MÜRZPANTHER
Jakob Huebner - Namensgeber des Landkärtchens: Tafel aus der Geschichte der Schmetterlinge. Dargestellt sind auf dieser Abbildung die Raupe und die Puppe des Apollo Falters. Quelle: Wikipedia