der muerzpanther
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Der   Bahnhof   von   Neuberg   an   der   Mürz   feiert   einen   eindrucksvollen   Geburtstag.   140   Jahre   hat   dieses   Baujuwel fast   unverändert   überstanden.   Dieses   Gebäude   aus   Naturstein   und   seinen   reich   verzierten   Holzfachgiebeln   wurde im   Jahre   1879   errichtet.   Geplant   hat   das   Bauwerk   der   Baudirektor   der   österreichischen   Südbahngesellschaft: Ritter   von   Flattich,   ein   deutsch   -   österreichischer Architekt. Aus   seiner   Hand   stammen   der   Hauptbahnhof   in   Graz (1876-   1878,   im   2.   Weltkrieg   zerstört),   der   alte   Südbahnhof   in   Wien   (1867-   1870,   ebenfalls   zerstört)   oder   der Hauptbahnhof in Triest (1878), der heute noch in Funktion ist. Ich   möchte   -   auch   weil   ich   bereits   sehr   viel   Zeit   durch   meine   Ausstellungen   dort   verbracht   habe   -   keine wissenschaftliche   Abhandlung   über   den   Bahnhof   bringen,   sondern   Bilder   und   Atmosphäre   zeichnen.   Ich   habe persönlich   noch   nie   ein   Bauwerk   kennen   gelernt,   das   gleichermaßen   durch   die   Vergangenheit,   die   Gegenwart   und die   Zukunft   wirkt.   Wie   viel   Geschichte   durch   den   kaiserlichen   Wartesaal   lebt,   wie   durch   geringe   Nutzung   der Baukörper   heute   dasteht   und   wie   viel   Potential   in   diesem   Gebäude   noch   steckt   -   das   sind   die   Punkte,   die   ich aufzeigen möchte. Um   die   Atmosphäre   und   die   Beziehung   von   vielen   Einheimischen   und   die   jüngeren   Geschichten   einzufangen   und vermitteln   zu   können,   habe   ich   Interviews   geführt.   Folgen   Sie   mir   auf   eine   spannende   Reise,   die   in   Neuberg beginnt und in Neuberg endet.
Aber beginnen wir in grauer Urzeit: Die   Morgen-Post,   Nr.   311/1870   (XX.   Jahrgang),   10.   November   1870   berichtet:   Aus   der   Geschäftswelt:   Die Verbindung   der   Südbahn   mit   der   Westbahn   ist   gesichert   und   die   Verbindungslinie   endgültig   festgestellt: Mürzzuschlag,   Neuberg,   Mürzsteg,   Frein,   Lahnsattel,   Terz,   St.   Ägyd,   Hohenberg,   Lilienfeld,   Wilhelmsburg,   St. Pölten. Dem   Reichsgesetzblatt   vom   12.   März   RGBl   1876/41   ist   zu   entnehmen:   Zur   Inangriffnahme   des   Baues   der   in Artikel   1   bezeichneten   Eisenbahn   wird   der   Regierung   für   das   Jahr   1876   ein   Specialkredit   von   400   000   fl (Gulden) bewilligt. 41. Gesetz vom 12. März 1876, betreffend dem B au   einer   Locomotiv   Eisenbahn   von   Mürzzuschlag   im   Anschlusse   an   die   Südbahn   nach   Neuberg.   Artikel   3:   Diese Bahn   ist   als   Secundärbahn    mit   dem   Minimalradius   von   150   Metern   mit   einer   Unterbaukronenbreite   von höchstens   vier   Metern   herzustellen,   und   das   Maximalgewicht   der   Schienen   wird   im   falle   der   Verwendung   von Eisenschienen auf 28 kg per Meter festgesetzt. (Quelle: Online bei ANNO) Nachdem   ich   als   Künstler   und   Chefredakteur   viel   Zeit   im   Jahr   am   Bahnhof   verbringe,   bin   ich   schon   oft abgefahren. Aber   immer   auf   den   Bahnhof.   Viele   Menschen   kommen   vorbei,   viele   aus   der   Gegend   und   bedauern das Dahinvegetieren des einstmaligen Schmuckkästchens der Region. Der   Bahnhof   ist   nicht   nur   Identität,   sondern   auch   kunstgeschichtlich   wertvoll   -   das   zeigt   sich   am   Interesse   des Landeskonservators   bereits   im   Jahre   1987:   "...   hielt   in   einer   Antwort   auf   das   Schreiben   der   Gemeinde   fest, daß   das   Bahnhofsgebäude,   die   Kirche   "Maria   am   grünen   Anger"   und   die   Reste   der   Eisenhüttenanlage   vom Bundesdenkmalamt   als   erhaltenswürdig   angesehen   werden."   Natürlich   ist   die   Entwicklung   der   Region   eng   an eben   diese   Umstände   gebunden:   Die   Eisenindustrie   und   später   auch   die   Holzindustrie   (die   es   so   aber   auch nicht mehr gibt) waren eng mit der Infrastruktur der Eisenbahn verbunden. Die   Industrie   hat   die   Region   über   ein   gutes   Jahrhundert   geprägt,   der   Schwenk   hin   zu   einer   Tourismusregion, die   übrigens   für   Erholungssuchende   alles   bietet,   ist   noch   im   Gange.   Noch   immer   hört   man   aus   der   Gegend   - immer   mit   leicht   nostalgischem   Bedauern   -   dass   man   sich   gerne   an   die   alte   Dampflok   91-32,   zurückerinnert, weil   es   "das   Transportmittel"   von   und   zur   Schule,   von   und   nach   Mürzzuschlag   war.   Wir   blicken   zurück: Ab   1930 lösen   die   modernen   Lokomotiven   der   Reihen   99/199   (später   als   91/   91.1   bezeichnet)   die   der   Reihe   97   ab   und bleiben   bis   1972   die   typische   Lokomotive   der   Neubergerbahn. Alleine   diese   vierzig   Jahre   Geschichte   mit   einer legendären   Lokomotive   erwecken   heute   noch   -   auch   bei   nicht   wahnsinnig   zugbegeisterten   Menschen   -   positive Erinnerungen. Lassen wir zunächst den Bürgermeister von Neuberg an der Mürz, Peter Tautscher zu Wort kommen.
Impression einer vergangenen Zeit. Es ist gut dreissig Jahre her, auf der anderen Seite steht heute noch: Abgang. Foto: der MÜRZPANTHER
DMP: Wie hast Du den Bahnhof, als er noch in Betrieb war, erlebt? Peter   Tautscher:   Regelmäßig.   Wir   haben   in   der   Familie   ein   Auto   gehabt,   aber   wir   Kinder   sind   mit   dem   Zug nach   Mürzzuschlag   gefahren.   Wir   sind   bei   der   Haltestelle   Arzbach   zugestiegen.   Der   Bahnhof   Neuberg   ist   mir aber   von   Jugend   an   ein   Begriff,   weil   es   früher   den   Lift   bei   der   Zornwiese   gegeben   hat.   Von   Arzbach   bin   ich mit den Ski immer dort ausgestiegen und ein Stückerl raufgegangen. Und wieder mit dem Zug heimgefahren. Früher   war   der   Bahnhof   auch   mit   Fahrdienstleitung   und   Bahnwärter   besetzt   und   die   Kohlenlieferung   für   die Eisenverarbeitung   wurde   immer   auf   Waggons   gebracht.   Diese   wurde   händisch   auf   einen   Kipper   ausgeladen und   verführt.   Das   hat   mein   Vater   solange   gemacht,   bis   ich   mit   dem   Traktor   hab`   fahren   können.   Es   ist   schon etwas   los   gewesen,   bis   zum   Ende   der   Siebziger   Jahre.   Dadurch   habe   ich   natürlich   auch   die   Leute   dort   gut gekannt. DMP:   Die   Leute,   die   bei   mir   während   der Ausstellung   vorbeikommen,   bemerken   unisono,   dass   es   einfach so schade ist, dass der Bahnhof bis jetzt keine Nachnutzung erfahren hat. Kennst Du das ? Peter   Tautscher:   Gott   sei   Dank   hat   mein   Vorgänger   den   Bahnhof   erworben,   wodurch   er   jetzt   der   Gemeinde gehört.   Das   alleine   hilft   uns   aber   noch   nicht,   wenn   man   ihn   nicht   vermarkten   kann.   Er   ist   sicher   einer   der wenigen   Raritäten,   die   es   in   dem   tollen   Zustand   gibt   und   wir   überlegen   schon   ewig,   was   wir   damit   tun können. Dazu kooperieren wir mit dem Neuberg College, den Literatur- und Architekturstudenten. Peter   Waterhouse   ist   der   Ernst   Jandl   Literaturpreis   im   Wartesaal   des   Bahnhofes   überreicht   worden   und   der Preisträger   war   gleich   verliebt   in   dieses   Gebäude.   Jetzt   sind   wir   so   weit,   dass   wir   gemeinsam   mit   dem Neuberg    College    mit    der    Sanierung    beginnen.    Unlängst    hatten    wir    ein    Vorgespräch    -    auch    mit    den Architekturabsolventen,   die   ihre   Diplomarbeit   über   den   Bahnhof   geschrieben   haben   -   und   haben   einmal festgelegt,   dass   die   Instandsetzung   der   Sanitäranlagen   das   wichtigste   ist.   Nächstes   Jahr   im   Juni   findet bereits   ein   großes   Event   statt,   zu   dem   aus   der   ganzen   Welt   Studenten   hierher   kommen.   Es   sollte   irgendwann einmal    eine    Künstleroase    werden.    Die    Nutzung    des    Wartesaals    geht    in    verschiedene    Richtungen    von Veranstaltungen,   beispielsweise   Lesungen   oder   Konzerte.   Aus   dem   Teil   des   Bahnhofsgebäude,   der   teilweise schon ausgeräumt worden ist, könnte man wieder kleine Wohneinheiten machen.
Peter Tautscher. Der Bürgermeister von Neuberg an der Mürz kennt den Bahnhof seit seiner Kindheit.  Foto: der MÜRZPANTHER
DMP:   Das   Konzept   mit   den   Veranstaltungen   hat   es   ja   bereits   gegeben.   Ich   erinnere   mich   an   Lesungen   und Jazzkonzerte. Peter   Tautscher:   Es   gehört   grundsätzlich   einmal   die   Infrastruktur   geschaffen.   Man   muß   zumindest   auf`s   WC gehen   können.   Die   Entwässerung   ist   undicht   und   dann   muss   es   Schritt   für   Schritt   gehen,   wofür   das   College schon einen Plan erstellt hat. Wir müssen jetzt daran gehen, es umzusetzen. DMP: Es gab voriges Jahr eine Begehung mit dem Landeskonservator. Peter   Tautscher:   Ich   habe   ihn   schon   einmal   vor   zwei   Jahren   hergebeten.   Er   war   begeistert   und   hat   festgestellt, wie   schön   der   Bahnhof   ist   und   hat   den   Originalzustand   hervorgehoben.   Er   hat   auf   jeden   Fall   ein   offenes   Ohr. Dasselbe   hat   auch   der   Chef   vom   Bundesdenkmalamt   gesagt,   mit   dem   es   auch   schon   eine   Kooperation   gibt. Bauliche   Veränderungen   müssen   natürlich   abgesprochen   werden.   Beispielsweise   ist   eine   Mauer   im   Kassenraum nachträglich zugebaut worden, die man auch wieder herausnehmen kann. DMP: Wie kompliziert und aufwendig wird die Umgestaltung letztlich werden? Peter   Tautscher:    Es   gibt   schon   Möglichkeiten   der   Veränderung.   Auch   die   Denkweise   des   Bundesdenkmalamtes hat   sich   mit   der   Zeit   geändert.   Wenn   es   einer   Nachnutzung   dienlich   ist,   kann   man   ein   bisschen   etwas   machen ...   es   ist   lockerer   geworden,   aber   man   muß   es   in   Absprache   machen.   Den   Boden   im   Wartesaal   wird   man   nicht herausnehmen können, aber vielleicht etwas drauflegen. Auf jeden Fall gehört er gereinigt. DMP:    Gibt   es   mit   dem   Neuberg   College   bereits   Nutzungsverträge?   Ist   für   die   Zukunft   längerfristig   etwas abgeschlossen oder projektiert? Peter   Tautscher:   Unlängst   haben   wir   bei   der   Besprechung   festgehalten,   dass   wir   -   bevor   wir   mit   baulichen Maßnahmen   beginnen   -   einen   Vertrag   machen.   Wir   machen   einen   Nutzungsvertrag,   denn   von   der   finanziellen Seite kann das Neuberg College nicht viel einbringen. Sie bieten dafür Ideen, Arbeitsleistung und Planung. Der   Bahnhof   bleibt   weiterhin   in   Besitz   der   Gemeinde,   mit   dem   Neuberg   College   gibt   es   wie   gesagt   einen Nutzungsvertrag    und    Veranstaltungen    werden    mit    ihnen    abgesprochen.    Aber    weiterhin    hat    auch    jede Privatperson   -   so   wie   Du   auch   -   die   Möglichkeit   den   Bahnhof   zu   nutzen.   Im   Winter   geht   das   aber   ohnedies wegen   der   Kälte   nicht.   Vielleicht   kommt   ja   auch   einmal   eine   Heizung   hinein. Aber   wichtig   ist,   dass   einmal   eine Infrastruktur   geschaffen   wird.   Das   Neuberg   College   wird   durch   ein   Förderprojekt   ermöglicht,   deswegen   halten sie alljährlich ihre vierzehntägigen Kurse ab. Allerdings ist kürzlich die Förderung etwas herabgesetzt worden. DMP: Woher kommen die Förderungen?   Peter Tautscher: Vom Bund, vom Bundeskanzleramt. DMP:   Das   Neuberg   College   sagt   wiederholt,   die   Neuberger   hier   einbinden   zu   wollen   -   die   ja   mit   dem Bahnhof   groß   geworden   sind.   Ich   sehe,   dass   es   kaum   funktioniert   ...   Vielleicht   stoßen   sich   viele   an   der Form    -    dieser    Art    freies    Künstlertum?    Auch    fällt    es    schwer,    diesen    Ausdruck    von    Kunst    inhaltlich nachzuvollziehen, zu verstehen. Peter   Tautscher:   Schwierig.   Kulturell   ist   Neuberg   eher   von   den   auswertigen   Gästen   aus   Wien,   Niederösterreich und   Graz   abhängig.   Schön   langsam   tasten   sich   auch   Einheimische   heran.   Wenn   das   College   im   Sommer   vierzehn Tage   da   ist,   gehen   auch   Leute   vorbei   und   kommen   in`s   Gespräch.   Aber   die   Literaturgeschichte   ist   halt   eine ganz    andere    Welt    -    das    versteht    man    nicht.    Natürlich    wird    auch    die    Bevölkerung    von    den   Teilnehmern angesprochen,   aber   es   ist   in   Zukunft   nicht   davon   auszugehen,   dass   die   Massen   hinkommen   werden.   Das   ist teilweise auch bei den Konzerten in Neuberg so. DMP: Danke für das Gespräch.