der muerzpanther
EINE WELT IN DIGITAL Das   virtuelle   Universum   dehnt   sich   immer   weiter   aus   und   ermöglicht   bereits   seit   geraumer Zeit,   Ämter   oder   Museen   digital   zu   besuchen.   Der   Vorteil   liegt   auf   der   Hand:   Man   spart   sich einen   Weg   -   und   dieser   Zeitfaktor   ist   für   die   Nutzung   ausschlaggebend.   Was   man   mit   der gewonnenen Zeit anfängt? Elektronische Medien nutzen! Beim   Amt   hat   das   noch   seine   Berechtigung,   aber   im   Museum?   Niemand   geht   wegen   des einmaligen   Ambientes,   wegen   des   Flairs   oder   um   „unter   Leute“   zu   kommen   in   ein   Amts- gebäude   um   Notwendigkeiten   zu   erledigen,   aber   bis   dato   waren   das   auch   Gründe,   physisch eine   Ausstellung   zu   besuchen.   Alleine   die   räumliche   Wirkung   im   Technischen   Museum   in Wien   ist   überwältigend,   das   Kunsthaus   Graz   ist   durch   die   zeitgenössische   Architektur   als friendly alien bereits ein Erlebnis. Und lädt auch noch zu einem Kaffeehausbesuch ein … Der   MÜRZPANTHER   hält   den   analog/physischen   Besuch   einer Ausstellung,   eines   Museums   für den   bereichernden   und   authentischeren   Weg,   da   die   Betrachtung   von   Kunst,   die   zu   persön- lichem Informationsgewinn führt, alle Sinne anspricht, wozu auch das Raumgefühl gehört.  
ACHTUNG! Dieser Artikel enthält folgende Ausdrücke:
 NACH OBEN NACH OBEN
Die   letzten   drei   Jahre   haben   aber   auch   aufgezeigt,   wie   fragil   das   System   sein   kann   -   durch Fehlbeschlüsse    der    Politik    -    und    Menschen    isoliert    werden,    es    Menschen    dauerhaft verunmöglicht   wird,   am   kulturellen   oder   öffentlichen   Leben   teilzunehmen.   Deswegen   ist die   virtuelle   Betrachtung   und   Präsentation   der Ausstellungsgegenstände   in   österreichischen Museen   zu   einer   Alternative   geworden,   sich   mit   Kunst   zu   beschäftigen   oder   in   Kontakt   zu kommen. Zunächst   könnte   man   meinen,   dass   schon   der   Begriff   „virtuelles   Museum“   ein   Widerspruch in   sich   ist.   Ein   Museum   beherbergt   -   geschichtlich   gesehen   -   Materielles,   nämlich   Ausstel- lungsgegenstände.   Wie   kann   dann   das   immaterielle   Medium   Internet   Raum   für   eine   museale Präsentation   bieten?   Lassen   wir   aber   die   Haarspaltereien   und   Begrifflichkeiten   beiseite,   die die   Entwicklung   hin   zum   virtuellen   Museum   nicht   weiter   beeinflussen,   entstanden   doch   die ersten   digitalen   Auftritte   in   Form   von   umfangreichen   Websites   von   Museen   bereits   vor dreißig   Jahren   in   den   90ern.   Aber   gelingt   es   diesen   seither   ständig   verbesserten   Formaten im   Auftritt   das   selbe   ästhetische   Empfinden   beim   Benutzer/Besucher   hervorzurufen?   Und kann   die   interaktive   Erkundung   von   extrem   hochauflösenden   Reproduktionen   von   Gemälden und   Kulturgütern   dieses   beeinflussen?   Dieser   Frage   geht   eine   neue   Studie   nach,   unter Mitwirkung   und   Leitung   der   Psychologin   Domicele   Jonauskaite   und   Univ.   Prof   Dr.   Helmut Leder von der Universität Wien. Durch    neue    und    computergestützte    Bildgebungslösungen    können    mittlerweile    hochauf- lösende   Scans   von   Kunstwerken   und   Kulturgütern   erstellt   werden   und   eine Auflösung   von   bis zu einer Milliarde Pixel erreichen. dMP:   Wenn   die Auflösung   der   dreidimensionalen,   digitalen   Scans   extrem   hoch   ist,   kann die   Qualität   auf   nicht   so   hoch   auflösenden   Bildschirmen,   womit   die   Werke   betrachtet werden, überhaupt sinnvoll vermittelt werden? Helmut   Leder:   Wohl   nicht   immer,   aber   heute   sind   besonders   schon   die   kleinen   Mobilphone- Bildschirme sehr hochauflösend!
dMP:    Wie    man    ein    Bild    betrachtet    kann    durch    die    Aufzeichnung    der    Blickführung aufgezeigt   werden.   Ist   die   Blickführung   des   Betrachters   in   der   interaktiven   Umsetzung der Kunstwerke vergleichbar? Helmut     Leder:     Blickverhalten     ist     im     Allgemeinen     eine     Mischung     aus     bottom-up merkmalsgesteuerten   (relativ   vergleichbar)   und   individuellen Ausprägungen;   aber   wir   haben das   bei   interaktiven   Kunstwerken   nicht   gemessen,   und   können   nur   vermuten,   dass   hier „neue   Arten   Dinge   zu   sehen“   möglich   sind.   (Anm:   bottom   up   ist   die   unten   ansetzende   und nach oben verlaufende Blicksteuerung.) Wie   dicht   ist   eigentlich   die   Präsenz   der   österreichischen   Museen   im   www?   Nur   18   %   aller befragten   Museen   haben   ihr   digitales   Inventar   über   eine   Webseite   öffentlich   zugänglich gemacht,   besagt   eine   Studie   des   Museumsbund   Österreich   aus   dem   Jahre   2017   und   10% gaben    an,    eine    Online    Collection    in    Planung    zu    haben.    Die    Vorteile?    Die    liegen    für Museumsbetreiber   auf   der   Hand:   Jene   Museen,   die   ihre   Sammlung   ganz   oder   teilweise online    gestellt    haben,    möchten    eine    breites    Publikum    ansprechen    und    erweitern    das Angebot   laufend.   "Es   könnte   ein   neues   Instrument   für   Museen   sein,   die   ihre   Besucher   für ihre   Sammlungen   begeistern   und   neue   Besucher   anziehen   wollen.   Es   könnte   sich   aber   auch im   Bildungs-   und   Marketingbereich   als   vorteilhaft   erweisen,   indem   es   das   Lehren   und Lernen   erleichtert   oder   den   Verkauf   von   Kunstwerken   auf   Auktionen   ankurbelt.“   sagt   dazu die   Erstautorin   Domicele   Jonauskaite   von   der   Universität   Wien.   Betrachter   können   durch   die digital   erstellten   dreidimensionalen   Scans   tief   in   die   Kunstwerke   und   Kulturgüter   hinein- zoomen,   um   die   Reliefs   der   Pinselstriche   zu   sehen   und   die   Materialität   zu   schätzen.   Wie gewohnt   kann   auch   durch   bewegen   und   drehen   das   Kunstwerk   sogar   aus   jedem   Blickwinkel betrachtet   werden.   Auch   die   Beleuchtung   kann   von   den   Betrachtern   virtuell   verändert werden, so wie es ein Kurator mit dem echten Artefakt tun würde. dMP:   Sind   durch   die   virtuelle   Darstellung   auch   neue   Eigenheiten   wie   Pinselstrich   oder Dynamik der Malweise der einzelnen Künstler erkennbar und damit zuordenbar? Helmut Leder: Ja sicher, auch bei Skulpturen werden die Spuren ihrer Produktion sichtbar. Daneben   bringt   ein   Objekt   oder   auch   ein   Bild   eine   Materialität   mit,   die   nicht   nur   rein physikalisch   zu   betrachten   ist.   Die   Wirksamkeit   aus   der   Wahl   der   Farben,   deren   Leuchtkraft     und   Malgründe,   die   um   einer   bestimmten   Wirkung   willen   gezielt   von   Künstlern   eingesetzt werden,   entfaltet   sich   weniger   durch   die   wissenschaftliche   Erschließung   als   durch   die   spür- bare   Wirkung   auf   den   Betrachter   -   messbar   oder   nicht.   Jeder,   der   einmal   beispielsweise dem   Bild   von   Caravaggio   -   Judith   enthauptet   Holofernes    im   Palazzo   Barberini   in   Rom   gegen- übergestanden    hat,    kennt    die    analog-emotionale    Wirkung,    die    Bilder    ausüben    können. Dieses   physische   Erleben   ist   digital   nicht   herstellbar   -   im   konkreten   Fall   „läuft   es   einem   kalt über den Rücken.“ 
dMP:   Die   Dimension   oder   das   Format   eines   Bildes   hat   ja   analog   auch   eine   Bedeutung   im Kontext   auf   andere   Bilder,   die   im   selben   Raum   oder   als   Nachbar   im   Museum   hängen. Fehlt in der virtuellen Betrachtung diesbezüglich nicht Essentielles? Helmut   Leder:   Nicht,   wenn   man   die Autonomie   des   Kunstwerkes   zum Ausgangspunkt   macht; aber   praktisch   kann   dies   wohl   der   Fall   sein,   eine   Einbettung   ist   aber   natürlich   auch   im virtuellen Raum möglich. Was   durchaus   digital   förderbar   ist,   ist   das   Interesse   und   das   Kunstverständnis   an   Museums- objekten.   Auch   dieser   Aspekt   wurde   in   der   Studie   beleuchtet   und   ergab,   dass   durch   die Interaktion   die   Betrachter   mehr   Freude   und   Interesse   an   den   Werken   hatten   als   bei   der   rein physischen   Betrachtung.   Sie   setzten   sich   intensiver   mit   den   Stücken   auseinander   und   hatten auch    das    Gefühl,    mehr    zu    lernen,    wenn    sie    die    Möglichkeit    hatten,    digital    mit    den Kunstwerken   und   kulturellen   Objekten   zu   interagieren.   Keine   positiven   Auswirkungen   hatte das   Betrachten   interaktiver   Repliken   jedoch   auf   das   Erinnerungsvermögen   der   Studien- teilnehmer.   Diese   hätten   sich   allerdings   ohnehin   gut   an   die   Kunstwerke   erinnert,   weswegen es wenig Raum für Verbesserung gab. dMP:    Wenn    die    digitale    Aufbereitung    ein    Instrument    wäre,    neue    Besucher    über interaktive,   animierte   Tools   anzuziehen,   ist   dann   nicht   zu   erwarten,   dass   die   Besucher im   echten   Museum   enttäuscht   werden   –   wenn   sie   „bloß“   das   analoge   Gemälde   ohne Animation sehen? Helmut   Leder:   Da   spielt   dann   aber   die Authentizität   wieder   eine   andere,   anziehende   Rolle. Und auch das soziale Erlebnis „Museum“. dMP:   Ist   die   Interaktion   mit   Kunstwerken   nicht   eher   der   Beschäftigung   mit   der   Technik geschuldet   –   d.h.   würden   sich   die   Menschen   dann   nicht   genauso   mit   histologischen Elektronenmikroskopaufnahmen   oder   anderen   Bereichen   auseinandersetzen   –   weil   sie es    halt    mit    dem    Computer    zu    Hause    im    Wohnzimmer    machen    können?    Anders formuliert: Sind die Kunstwerke nicht ohnedies nur zweitrangig im Interesse? Helmut   Leder:   Ist   das   nicht   sehr   kultur-   bzw,.   kunstpessimistisch?   Vielen   Menschen   ist   Kunst sehr wertvoll! dMP: Herzlichen Dank für das Interview!
Der Wert der digitalen Aufbereitung liegt sicher in der Forschung, Wissenschaft oder der zweifelsohne unproblematischen Verbreitung. Aber der emotionale Faktor Erlebnis kommt etwas zu kurz. Foto:pixabay
Aus     dem     heutigen     Museumsbetrieb     nicht     mehr wegzudenken:   fotografierende   Besucher. Auch   das   ist eine Form der Begegnung. Foto:APA/dpa
Caravaggio - Judith enthauptet Holofernes Öl    auf    Leinwand,    1598/1599,    145    x    195    cm, Palazzo Barberini in Rom