der muerzpanther
VERBESSERUNGEN SIND IMMER MÖGLICH Wer   kennt   es   nicht   -   dieses   wunderbare   Gefühl,   wenn   die   Zeit   wie   im   Flug   vergeht?   Das bedeutet   in   den   meisten   Fällen,   dass   man   sich   intensiv   mit   irgendetwas   auseinandersetzt, oft   auch   Freude   dabei   empfindet   und   es   beim   Sport,   beim   Hobby   oder   auch   hin   und   wieder in   der   Arbeit   erlebbar   wird.   Ist   dieser   Zustand   „im   Flow   zu   sein“   aber   nur   uns   Menschen zuzuschreiben?    Oder   können   auch   Tiere   diesen   Zustand   erreichen,   zwar   nicht   beim   Tanzen,   Surfen   oder Klettern,   aber   beim   Lösen   von   einer   ihnen   gestellten   Aufgabe.   Dieser   Frage   widmet   sich Sara   Hintze,   die   am   Institut   für   Nutztierwissenschaften   auf   der   BOKU   forscht,   auch   mit dem Ziel die Haltungsbedingungen für Nutztiere, allen voran Schweinen, zu verbessern.    Welcher Aufgabenstellung   bedarf   es   aber,   in   den   Flow   zu   kommen?   Schon   alltägliche Tätig- keiten   wie   das   Lösen   von   Mathematik-Aufgaben   können   Flow   auslösen.   Dabei   ist   es   wichtig, dass   die   Schwierigkeit   der   Aufgaben   zu   unseren   Fähigkeiten   passt,   ist   sie   allerdings   zu schwierig,   sind   wir   frustriert.   Wenn   es   gelingt   die Aufgabe   Schritt   für   Schritt   zu   lösen,   erle- ben   wir   das   Gefühl   „im   Flow“   zu   sein.   Das   nutzt   beispielsweise   die   Psychologie   für   Kurse und   Coachings.   Das   Thema   Flow   bei   Tieren,   das   wissenschaftlich   bisher   keine   Beachtung gefunden   hat,   hat   Sara   Hintze   und   ihr   Kollege   Jason   Yee   erstmals   aufgegriffen.   „Der Gedanke,   dass   auch   Tiere   Flow   erleben   können,   hat   uns   beide   gefesselt.“    sagt   sie   dazu. Wenn    wir    Tieren    die    Möglichkeit    geben,    Flow    zu    erleben,    können    wir    dann    die Lebensqualität   von   landwirtschaftlich   genutzten   Tieren,   wie   Schwein,   Huhn   oder   Rind verbessern?“      Ein   neuer   und   faszinierender   Ansatz   für   das   Tierwohl,   über   den   der   MÜRZPANTHER   mehr erfahren wollte und Frau Dr. Hintze um ein Interview gebeten hat.
ACHTUNG! Dieser Artikel enthält folgende Ausdrücke:
 NACH OBEN NACH OBEN
dMP:    Kann    beim    Menschen    das    Erfüllen    der    z.B.    mathematischen    Aufgabe    nicht chemisch   durch   Gehirnvorgänge   oder   Gehirnströme   nachgewiesen   werden   –   wie   eine Art Glücksgefühl? Sara   Hintze:   Ja,   es   gibt   neuropyshiologische   Studien   zu   Flow   beim   Menschen.   Aber   auch wenn   die   meisten   Menschen   denken,   dass   wir   durch   Hormone   in   der   Neurophysiologie   doch die   "Wahrheit"   erfahren   sollten   (im   Vergleich   zu   Verhaltensbeobachtungen,   zum   Beispiel),   so ist   das   leider   selten   der   Fall,   denn   auch   diese   Ansätze   sind   kompliziert   und   nicht   "straight forward".   Die   Ergebnisse   solcher   Untersuchungen   sind   nicht   immer   eindeutig   und   schlüssig und   die   Interpretation   oft   schwierig.   Leider   gibt   es   nämlich   nicht   DAS   eine   Hormon,   dass   wir messen   müssen   oder   DIE   eine   Hirnströmung,   die   uns   Auskunft   gibt.   Außerdem   müssen   die meisten   neurophysiologischen   Untersuchungen   in   absoluter   Ruhe   vorgenommen   werden,   was wiederum dem Erleben von Flow widerspricht. Im   Gegensatz   zu   Menschen   sind   aber   Tiere   für   Studien   nicht   einfach   befragbar,   deswegen standen   die   Forscher   vor   der   Herausforderung,   dass   die   Sprache   als   Kommunikationsmittel fehlte.   „In   unserer   Arbeit   haben   wir   alle   vom   Menschen   bekannten   Flow-   Charakteristika zusammengetragen    und    sind    sie    einzeln    durchgegangen:    Welche    könnte    man    wie verwenden,    um    Flow    bei    Tieren    auszulösen    und    nachzuweisen?“    Als    Ansatz    für    die Forschung   schlagen   die   Forscher   zwei   Charakteristika   vor.   Wenn   Flow   erlebt   wird,   lassen sich   Menschen   von   der   Tätigkeit   durch   nichts   ablenken.   Davon   abgeleitet   kann   man   leicht feststellen,   ob   Tiere   auf   kleine   Ablenkungen   wie   Geräusche   oder   stärkere   wie   ihr   Lieblings- futter reagieren. dMP: Welche Zeitspanne kann flow haben: Momente oder länger anhaltende Zustände? Sara   Hintze:   Vom   Menschen   weiß   man,   dass   die   Dauer   einer   Flow-Erfahrung   unterschiedlich lang   sein   kann.   Es   können   flüchtige   Momente   sein,   aber   auch   längere   Erfahrungen,   wie   zum Beispiel   während   einer   OP   oder   beim   Klettern.   Allerdings   ist   dann   irgendwann   auch   mal Ende;   eine   einzige   Flow-Erfahrung   hält   vermutlich   nicht   Tage   oder   Wochen   an   (man   kann während dieser Zeit aber immer wieder neue Erfahrungen machen). dMP:   Gehen   Sie   davon   aus,   dass   alle Tiere   im   Flow   sein   können?   Oder   beschränkt   es   sich auf Säuger, die neuronal dazu fähig sind? Sara   Hintze:   Dazu   wissen   wir   schlichtweg   zu   wenig.   Allerdings   glaube   ich   nicht,   dass   bei Säugern   die   Grenze   liegt   und   Nicht-Säuger   nicht   fähig   sind,   Flow-Zustände   zu   erleben.   Bei vielen   Vogelarten   könnte   man   sich   Flow   zum   Beispiel   gut   vorstellen.   Es   sind   vielmehr   andere Charakteristika,   so   denken   wir,   die   ein   Tier   dazu   befähigen,   Flow   zu   erfahren   (oder   eben nicht).    Und    die    Frage    ist    auch,    wie    Flow-Aktivitäten    bei    den    verschiedenen    Tierarten aussehen;   manche   beinhalten   vermutlich   viel   Bewegung   und   werden   lebhaft   ausgelebt,   für andere Tierarten muss es eher ruhig zugehen.
Als   zweites   Charakteristikum   für   die   Forschung   kann   die   Zeitwahrnehmung,   „die   wie   im Fluge   vergeht“   herangezogen   werden.   Um   das   im   Tierreich   zu   untersuchen,   müssen   die Schweine einiges lernen … dMP:   Sie   sprechen   von   einer   Aufgabe   an   die   Tiere:   kann   sich   Flow   nicht   auch   durch Futteraufnahme   einstellen   –   oder   ist   das   eine   Aufgabe?   Können   Sie   andere   Tätigkeiten bei den Schweinen nennen? Sara   Hintze:   Vorgesetztes   Futter   in   einer   Schüssel   reicht   vermutlich   nicht,   denn   da   fehlt   die Herausforderung,   die   zum   Erleben   von   Flow   ja   essentiell   ist.   Eine   Jagd   im   Rudel   könnte hingegen potentiell schon Flow auslösen. dMP:   Welche   Resultate   gibt   es   bei   der   Studie   mit   der   rechten   und   der   linken   Klappe? Welche   Aufgaben   wurden   dabei   gestellt?   Welche   konkreten   Folgerungen   können   Sie ableiten und wie sind diese umsetzbar? Sara   Hintze:   In   diesem   Versuch   lernen   die   Tiere,   dass   sie   bei   einem   kurzen   Ton   hinter   der rechten   Klappe   eine   Belohnung   bekommen,   bei   einem   langen   Ton   hingegen   hinter   der linken.   Haben   Sie   das   gelernt,   wird   ein   Ton   mittlerer   Länge   abgespielt   und   die   Frage   ist,   ob das   Schwein   nach   rechts   geht   (weil   es   den   Ton   als   eher   kurz   interpretiert)   oder   nach   links (weil   es   den   Ton   als   eher   lang   interpretiert).   Diese   Interpretation   der   Länge   des   mittleren Tons   sollte   vom   Gemütszustand   abhängen,   wie   bei   uns   auch.   Wenn   wir   gelangweilt   oder depressiv   sind,   vergeht   die   Zeit   kaum;   haben   wir   hingegen   Spaß,   vergeht   sie   wie   im   Flug. Mit   diesem   Ansatz   lassen   sich   Rückschlüsse   auf   die   Gefühlswelt   der   Tiere   ziehen   und   wir können   zum   Beispiel   herausfinden,   wie   es   ihnen   in   verschiedenen   Haltungsumwelten   geht. So   untersuchen   wir   gerade   die   Auswirkungen   von   sehr   kargen   und   monotonen   Haltungs- bedingungen im Vergleich zu angereicherten und abwechslungsreichen. dMP:   Womit   beschäftigen   sich   Schweine   in   der   Natur   „spielerisch“   oder   als   „Heraus- forderung“? Sara   Hintze: Alles,   bei   dem   es   ums   Wühlen   und   Erkunden   allgemein   geht.   Schweine   sind   sehr neugierig und wollen immer etwas neues herausfinden und zu tun haben.
dMP: Tiere   in   der   Landwirtschaft   zu   „beschäftigen“   wäre   doch   ein   hoch   gestecktes   Ziel   können Sie aufgrund Ihrer Studien in dieser Richtung bereits etwas anraten? Sara   Hintze:   Naja,   sie   zu   beschäftigen   sollte   schon   unser   Ziel   sein.   Denn   wir   wissen   ja   nur   zu gut,   dass   mangelnde   Beschäftigung   zu   großen   Problemen   führt,   denken   wir   nur   an   das Schwanzbeißen   in   der   Schweinehaltung,   als   eines   von   vielen   Beispielen.   Aber   auch   die emotionalen   Folgen   wie   chronische   Langeweile   bis   hin   zur   Depression   sind   nicht   zu   miss- achten.   Wir   kennen   das   natürliche   Verhalten   der   Tiere   und   wir   wissen   auch,   wie   wir   sie   hal- ten   sollten,   damit   es   ihnen   gut   geht.   Und   dazu   gehört   nun   einmal   Beschäftigung. Allerdings würde   ich   Beschäftigung   nicht   mit   Flow   gleichsetzen   -   um   Flow   zu   erleben   braucht   es   schon ein   bisschen   mehr.   Doch   auch   hier   wäre   es   mein   Wunsch   und   Ziel,   Schweinen   und   anderen landwirtschaftlich genutzten Tieren die Möglichkeit zu geben, Flow erleben zu können. dMP: Herzlichen Dank für das Interview!  
Entspannung   ist   nicht   mit   Flow   gleichzusetzen,   da   eine   Aufgaben- stellung fehlt. Glücklich kann es aber trotzdem machen… Foto: pixabay
Ob   alle   Tiere   auch   neben   den   Säugern   „Flow“ erleben   können,   gilt   es   noch   zu   erforschen.   Be- schäftigung   in   der   Nutztierhaltung   sollte   aber auf jeden Fall Standard werden. Foto: BOKU Wien
Die   BOKU   Wien-   hier   im   Winter-   ist   eine   der   besten Life   Sciences   Universitäten,   die   sich   durch   ihre   ganz- heitliche   Herangehensweise   in   Forschung   und   Lehre auszeichnet.   Dazu   zählt   auch   das   Institut   für   Nutztier- wissenschaften,   auf   dem   Fr.   Dr.   Sara   Hintze   forscht. Foto: BOKU Wien