der muerzpanther
TIERETHIK IM VERSUCH? Wer    entscheidet    ob    ein    Tierversuch    in    der    biomedizinischen    Forschungseinrichtung durchgeführt   werden   kann   oder   nicht?   Sind   es   Experten,   ein   Rat   oder   Wissenschaftler?   Sind es   geschulte   Personen,   die   mit   Mehrheit   über   ein   Forschungsprojekt   mit   Tierversuchen bestimmen   -   oder   entscheiden   Einzelne?   Wie   sieht   die   Entscheidungsfindung   aktuell   in anderen europäischen Ländern aus? Vor   zwei   Jahren   fand   dazu   auf   der   Universität   für   Bodenkultur   in   Wien   ein   Vortrag   statt, der   im   Vorfeld   folgende   Fragestellung   thematisierte:   „Die   Verwendung   von   Tieren   in   der Forschung   wirft   angesichts   ihrer   Leidensfähigkeit   seit   jeher   moralische   Fragen   auf:   man fängt    und    sperrt    sie    ein,    transportiert    und    manipuliert    sie,    oft    wird    ihr    Tod    mit einkalkuliert   –   dies   alles   mit   dem   Versprechen   eines   wissenschaftlichen   Nutzens,   vor   allem – aber nicht nur – in der Medizin …“ Schon   seit   geraumer   Zeit   gilt   an   verantwortungsvollen   Forschungseinrichtungen,   als   Richt- linie   bei   Tierversuchen   das   ethische   Prinzip   der   „3R“:   Replace   (Vermeiden   –   wenn   möglich, werden   Tierversuche   durch   Alternativmethoden   ersetzt.),   Reduce   (Verringern   –   möglichst wenig   Tiere)   und   Refine   (Verbessern   –   schonende   Gestaltung).   Sind   damit   aber   schon   Tier- versuche   gerechtfertigt?   Es   stellen   sich   in   jedem   Einzelfall   die   zentralen   Fragen,   ob   ein Tierversuch   sinnvoll    und   das   beste   Mittel    zur   Klärung   einer   Forschungsfrage   ist,   ob   und   dass Tiere    keine    individuellen    Grundrechte    besitzen    und    als    Mittel    zum    Zweck     verwendet werden   dürfen,   und   ob   der   Nutzen   eines   Versuchs   für   den   Menschen   den   Schaden   für   das Tier überwiegt. Natürlich   hat   auch   die   Eu   in   der   RICHTLINIE   2010/63/EU   des   europäischen   Parlaments   und des   Rates   vom   22.   September   2010   tierethische   Aspekte   bis   hin   zu   den   verschiedensten Tötungsmethoden   der   Versuchstiere   (die   ich   Ihnen   aber   ersparen   will)   festgelegt.   Darin heißt   es   unter   anderem:   „Aus   ethischer   Sicht   sollte   es   eine   Obergrenze   für   Schmerzen, Leiden   und   Ängste   geben,   die   in   wissenschaftlichen   Verfahren   nicht   überschritten   werden darf.   Hierzu   sollte   die   Durchführung   von   Verfahren,   die   voraussichtlich   länger   andauernde und   nicht   zu   lindernde   starke   Schmerzen,   schwere   Leiden   oder   Ängste   auslösen,   untersagt werden.“ In   Linz   hat   man   sich   an   der   Medizinischen   Fakultät   der   Johannes   Kepler   Universität   mit Fragen   zum   Thema   Tierethik   auseinandergesetzt   und   einen   interessanten   Zugang   gefunden: Ab   dem   zweiten   Quartal   2023   sollen   Laien   mit   Experten   in   einem   Tierethikrat   entscheiden, ob   ein   Tierversuch   in   der   biomedizinischen   Forschungseinrichtung   durchgeführt   werden kann   oder   nicht.   Ein   Nein   des   Rats   wird   bindend.   Darüber   hat   der   MÜRZPANTHER   mit   Prof. Wolfram Hötzenecker ein Interview geführt.
 NACH OBEN NACH OBEN
ACHTUNG! Dieser Artikel enthält folgende Ausdrücke:
Nach    schwedischem    Vorbild    werden    in    Zukunft    im    Tierethikrat    an    der    Medizinischen Fakultät   der   Johannes   Kepler   Universität   ähnlich   einem   Geschworenengericht   im   Strafrecht Laien   -   ausgesucht   vom   Marktforschungsinstitut   Spectra   -   eingebunden.   Sechs   von   ihnen bilden   mit   sechs   Experten,   darunter   Ärzte,   Tierschützer   und   Juristen   den   Rat,   der   anonym einen    Mehrheitsentschluss    fasst.    Wird    der    Tierversuch    in    drei    entscheidenden    Fragen abgelehnt,    kann    er    nicht    mehr    eingereicht    werden,    andernfalls    gibt    es    einen    zweiten Versuch   für   eine   Überarbeitung.   Wird   er   zugelassen,   geht   der   Antrag   weiter   ins   Wissen- schaftsministerium,   das   nach   weniger   strengen   Kriterien   entscheidet,   so   Prof.   Hötzenecker, Vorsitzender des Tierethikrats. dMP: Nach welchen (standardisierten?) Kriterien werden die Laien ausgesucht? Prof.   Hötzenecker:   Die   Auswahl   erfolgt   durch   ein   Marktforschungsinstitut,   das   sechs   Lai*in- nen    nach    gängigen    Clustermethoden    (ähnlich    diversen    Umfragen)    auswählt,    die    einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerungsschichten in Oberösterreich darstellen. dMP:   Welche   Gründe   gibt   es,   das   Marktforschungsinstitut   Spectra   einzubinden?   Steht   es der Uni nahe und gab es bereits Zusammenarbeit? Prof.    Hötzenecker:    Die    Einbindung    eines    Marktforschungsinstituts    ermöglicht    uns    eine repräsentative Auswahl von Lai*innen durch qualifizierte Interviews mittels Telefonumfrage. Bei   der   Auswahl   von   externen   Anbieter*innen   unterliegt   die   JKU   –   wie   alle   Organisationen, die   mit   Geldern   aus   der   öffentlichen   Hand   arbeiten   –   klaren   und   transparenten   Compliance- Regeln.   Es   werden   mehrere   Angebote   eingeholt   und   der   Bestbieter   ausgewählt.   Das   war   in diesem Fall das Marktforschungsinstitut Spectra. dMP:   Sechs   Laien   und   sechs   Experten,   darunter   auch   Tierschützer   und   Juristen.   Unter 12    Mitgliedern    des    Tierethikrates    sind    dann    nur    noch    zwei/    drei    Mediziner.    Wird dadurch Medizinwissenschaft outgesourcet und ethisch legitimiert? Prof.   Hötzenecker:   Ganz   im   Gegenteil.   Dem   Tierethikrat   werden   mehr   als   drei   Medizi- ner*innen   angehören,   da   einige   Personen   eine   doppelte Ausbildung   vorweisen   können. Auch in    den    Ethikkommissionen,    die    über    humane    Studien    entscheiden,    sitzen    nicht    nur Mediziner*innen.
Prof. Wolfram Hötzenecker, stellvertretender Dekan der Johannes Kepler Universität Linz für Forschung und Vorsitzender des Tierethikrats, der nach schwedischem Vorbild  in`s Leben gerufen wurde. Foto: JKU
Das ist bisweilen das Schicksal vieler Versuchstiere in einem Labor: der Tod. Hoffentlich hat er Nutzen gebracht. Foto: pixabay
Solange   es   nicht   möglich   ist,   Tierversuche   zu   ersetzen,   gilt   es   sie   zu   verringern   -   was   in   den vergangenen   zehn   Jahren   sukzessive   gelang   -   und   im   Sinne   des   Tierwohls   zu   verbessern.     Aktuell   wird   in   der   Linzer   MedFakultät   eine   Tenure-Track-Professur   (Anm.:   zunächst   auf sechs   Jahre   vertraglich   begrenzt)   auf   dem   Fachgebiet   "Ersatzmethoden Tierversuche"   in   Linz ausgeschrieben,   um   in   der   Ersatzmethodik   zu   forschen,   so   Hötzenecker.   Diesen   Weg   gibt auch   die   EU   vor.   Die   alternativen   Methoden   zu   tiergestützter   Forschung   werden   immer mehr.   Diese   gelte   es   zu   propagieren   und   mit   Förderungen   zu   stärken,   was   leider   noch   zu wenig   geschehe.   Man   sei   immer   auf   der   Suche   nach   der   wissenschaftlich   besten   Methode, die   weg   von   Testtieren   hin   zu   Zellkulturen   oder   Organ-Chips   gehen   muss.   Bis   dahin   wird   in Linz   aber   der   Ethikrat,   der   sich   auch   aus   Laien   zusammensetzen   wird,   Entscheidungen treffen. dMP:    Welche    Kenntnisse    oder    Weitsicht    brauchen    die    Laien,    um    wissenschaftliche Forschung abschätzen zu können? Prof.   Hötzenecker:   Die   Lai*innen   sollen   einen   Querschnitt   der   Meinung   zu   Tierversuchen   in Oberösterreich   darstellen.   Diese   Gruppe   soll   die   Haltung   der   Gesellschaft   zu   Tierversuchen widerspiegeln,   es   gibt   hier   sowohl   kritische   wie   auch   befürwortende   Stimmen   darunter. Spezielle fachliche bzw. medizinische Kenntnisse werden nicht vorausgesetzt. dMP:   Können   Laien   die   Tragweite   von   Erkenntnissen   beurteilen,   die   möglicherweise durch   die   jetzige   Grundlagenforschung   erst   in   Jahren   zum   Tragen   kommen   kann?   Sind also Fehleinschätzungen einprogrammiert? Prof.   Hötzenecker:   Die   Lai*innen   werden   im   Tierethikrat   gemeinsam   mit   den   Expert*innen völlig   weisungsfrei   entscheiden   können.   Die   Lai*innengerichtsbarkeit   hat   in   Österreich   eine lange   Tradition.   Auch   bei   Kapitalverbrechen,   wie   Mord   sind   im   Rahmen   der   Lai*innenge- richtsbarkeit   in   Österreich   Personen   beteiligt,   die   auf   dem   Gebiet   der   Rechtswissenschaften keine Fachkenntnisse haben. dMP:   Werden   die   sechs   Laien   regelmäßig   wechseln   –   je   nach   Fragestellung?   Und   wie   oft werden sie nach Ihrer Einschätzung zusammenkommen? Prof.   Hötzenecker:   Ein   Wechsel   der   Lai*innen   ist   in   den   nächsten   zwei   bis   drei   Jahren   nicht geplant.   Alle   Lai*innen   sind   bei   den   Sitzungen,   die   sechs-   bis   achtmal   jährlich   stattfinden, anwesend. dMP:   Im   zweiten   Quartal   2023   soll   die   Arbeit   aufgenommen   werden:   wird   es   absehbar auch noch Änderungen geben? Prof. Hötzenecker: Nein, Änderungen sind nicht geplant. dMP:   Wie   ausführlich   muss   die   Entscheidung   des   Tierethikrates   begründet   werden   und wird diese veröffentlicht? Prof.   Hötzenecker:   Es   wird   eine   ausführliche   Begründung   geben.   Nach   der   Genehmigung durch das Ministerium wird eine nicht-technische Projektbeschreibung veröffentlicht. dMP:    Welche    Wege    der    „Ersatzmethoden    Tierversuche“    sind    vorstellbar    –    welche werden bereits angewandt? Prof.   Hötzenecker:   Es   können   bereits   zahlreiche   Ersatzmethoden   angewandt   werden.   Zu Stärkung   der   Expertise   vor   Ort   läuft   aktuell   ein   Berufungsverfahren   für   eine   Tenure-Track- Stelle „Tierversuchsersatzmethodik“ an der Johannes Kepler Universität Linz. dMP:   Könnten   andere   Länder,   die   diese   strengen   Ethikgesetze   nicht   anwenden,   dadurch auch   –   gerade   was   Pharmakologie   und   Medizin   betrifft   –   einen   uneinholbaren   Vorsprung in   Forschung   und   Produktion   erlangen?   Oder   wendet   man   diese   Ethikregeln   auch   für den   Import   (beispielsweise   aus   Indien,   China???)   durch   Verbot   von   medizinischen   und pharmazeutischen Produkten an? Prof. Hötzenecker: Diese Frage übersteigt die regionalen Möglichkeiten einer Universität. dMP: Herzlichen Dank für das Interview!