der muerzpanther
LINEAR, PLATEAUFÖRMIG ODER SATURIEREND Der   Wald   ist   ein   Universum   für   sich.   Lebensraum   unzähliger   Tiere,   Ort   von   uneingeschränkter   Pflanzenvielfalt, Mikroorganismen,   generell   jeder Art   von   Lebewesen,   angefangen   im   Reich   der   eukaryotischen   Lebewesen,   den Pilzen   bis   hin   zu   hochentwickelten   und   hochspezialisierten   Carnivoren,   wie   den   Bären.   Der   Wald   ist   aber   auch seit   jeher   Nahrungsquelle   für   uns   Menschen.   Mit   Früchten,   Samen,   Wurzeln,   Pilzen   und   Wildfleisch   stellen Wälder   eine   bedeutende   Lebensgrundlage   dar.   Die   Entwicklungen   der   jüngsten   Zeit   -   auch   durch   die   Corona- pandemie   -   und   das   Freizeitverhalten   zeigen   auch   auf,   wie   wichtig   der   Wald   für   unsere   Gesundheit   ist,   phy- sisch   und   psychisch.   Eine   kürzlich   durchgeführte   Studie   bewies,   dass   der   Wald   gut   für   das   Wohlbefinden   und die   Gesundheit   der   Menschen   ist.   Demnach   genügen   schon   20   Minuten,   um   messbare   Entspannungseffekte   zu erzielen.   Das   zeigt   die   im   Fachjournal   „Forests“   veröffentlichte   experimentelle   Feldstudie   der   Medizinischen Universität Wien, die im Wienerwald durchgeführt wurde. Nennen   Sie   es   Waldspaziergang,   einen   Waldaufenthalt   oder   Waldbaden,   der   Effekt   stellt   sich   ein:   Ihr   Stress- pegel   sinkt.   Über   diese   wissenschaftlich   belegte   Erkenntnis   hat   der   MÜRZPANTHER   ein   Interview   mit   Assoz. Prof.in   PD.in   DDr.in   Daniela   Haluza,   MSc,   Medizinische   Universität   Wien,   Zentrum   für   Public   Health, Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin geführt.
Über   die   gesundheitsfördernde   Wirkung   des   Waldes   gibt   es   seit   ca.   20   Jahren   Studien.   Daniela   Haluza   von   der MedUni   Wien,   die   seit   vielen   Jahren   auf   diesem   Sektor   forscht,   stellte   bereits   2016   fest,   dass   regelmäßige Waldaufenthalte   zur   körperlichen   Erholung   und   Regeneration,   zum   Stressabbau,   zur   Stärkung   der   Immunab- wehr,   zur   Verbesserung   der   Schlafqualität   oder   zur   Harmonisierung   des   zentralen   Nervensystems   beitragen. Der   Wald   befriedigt   dabei   essenzielle   körperliche,   seelische   und   soziale   Bedürfnisse,   die   sich   grundsätzlich sehr   positiv   auf   die   Gesundheit   des   Menschen   auswirken “,   sagte   die   Umweltmedizinerin   vor   Jahren.   Die   Er- kenntnisse von damals sind auch Grundlage der neuesten experimentellen Feldstudie im Wienerwald. dMP:  Basiert oder baut Ihre Studie auf Forschung auf, die vor Jahrzehnten bereits veröffentlicht wurde? Dr.   Daniela   Haluza:   Unsere   Forschung   basiert   auf   den   evidenzbasierten   Publikationen   der   letzten   Jahre,   die ein   diesem   dynamsichen   Forschugnsfeld   international   veröffentlicht   werden.   Wir   haben   hier   an   der   Medizin- ischen   Universität   Wien   seit   über   15   Jahren   eine   eigene   erfolgreiche   Forschungsgruppe   namens   "Green   Public Health", die auf international vergeichbaren hohen Niveau akademische Grundlagenforschung betreibt. Für   die   Studie   wurden   66 Teilnehmer   in   zwei   Gruppen   eingeteilt.   Dabei   verbrachte   die   eine   Gruppe   20   Minuten in   einem   Waldgebiet   mit   variierender   Baumartenvielfalt   im   Wienerwald,   die   andere   in   einer   städtischen Umgebung   ohne   Begrünung.   Vor   und   nach   dem Aufenthalt   wurden   Speichelproben   zur   Bestimmung   des   physio- logischen   Stressmarkers   Cortisol   entnommen.   Die Auswertung   der   erhobenen   Daten   zeigte,   dass   die   Wald grup- pe   eine   signifikante   Reduktion   des   Cortisolspiegels,   ein   Marker   für   Stress,   von   etwa   4   auf   2   ng/mL   aufwies, während die Stadtgruppe keinen solchen Effekt zeigte. dMP:   66   gesunde   Erwachsene   in   zwei   Gruppen:   Ist   die   Waldgruppe   zusammen   geblieben,   oder   ist   jeder Einzelne   im   Wienerwald   seines   Weges   gegangen   und   resultiert   das   Ergebnis   daher   auch   vom   „Alleinsein“ im Wald? Dr.   Daniela   Haluza:   Die   Teilnehmer   wurden   in   ihre   Gruppen   zufällig   geteilt   und   gleichzeitig   positioniert.   Sie saßen   jeweils   still   in   einem   zugewiesenen   Abschnitt   des   Wald-   oder   Stadtgebiets,   ohne   Konversation   oder Ablenkung. dMP:   Sie   haben   die   Studie   über   20   Min   gemacht,   setzt   sich   der   Stressabbau   linear   mit   einer   längeren Auf- enthaltsdauer   im   Wald   fort?   D.h.   je   länger   im   Wald,   desto   „entspannter“   der   Mensch?   Welche   Ergebnisse erwarten Sie noch? Dr.   Daniela   Haluza:   Unsere   Studie   konzentrierte   sich   bewusst   auf   einen   niedrigschwelligen,   kurzen Aufenthalt von   20   Minuten,   um   ein   realistisches   Interventionsszenario   für   den   Alltag   abzubilden.   Ob   der   Effekt   linear, plateauförmig   oder   saturierend   verläuft,   ist   Gegenstand   weiterführender   Forschung.   Frühere   Studien   deuten an,   dass   sich   die   stärksten   Effekte   innerhalb   der   ersten   20–30   Minuten   einstellen   und   längere   Aufenthalte nicht   zwangsläufig   in   linear   gesteigerte   Wirkungen   münden,   sondern   möglicherweise   einen   Sättigungseffekt zeigen.   Denkbar   ist   aber,   dass   sich   andere   gesundheitliche   Parameter   (z.B.   Blutdruck,   Stimmungslage,   HRV    - Anm.:    die    Variabilität    in    den    Zeitintervallen    zwischen    aufeinanderfolgenden    Herzschlägen,    welche    die Anpassungsfähigkeit   des   Herzens   an   unterschiedliche   physische   und   psychische   Belastungen   widerspiegelt)   bei längerer Exposition zusätzlich verbessern – das untersuchen wir dann in weiteren Projekten .
Was spricht eigentlich  für den unglaublichen Wohlfühleffekt des Waldes? Farben, Gerüche, Tierleben, Pflanzenvielfalt, der Übergang von Wald zu Wasser, Licht- Schattenspiel und vieles mehr. Besondere Freude hatte ich für diesen Artikel fotografieren zu gehen und kam auch begeistert zurück! Bei den nächsten Fotos unten ist ein langblättriges Waldvöglein dabei, eine wilde Orchideenart, die ich bisher noch nicht in der Natur gesehen habe! Fotocredit: der MÜRZPANTHER
dMP:   Weil   Sie   den   Mischwald   mit   variierender   Baumartenvielfalt   betonen:   Gibt   es   Unterschiede   im Ergebnis, abhängig welcher Typ Wald es ist? Sind in Monokulturen andere Ergebnisse möglich? Dr.   Daniela   Haluza:   Ja,   genau   diesen   Aspekt   haben   wir   in   unserer   Studie   gezielt   berücksichtigt.   Die   drei Waldflächen,   die   wir   für   die   Intervention   ausgewählt   haben,   repräsentierten   unterschiedliche   Niveaus   der Baumartenvielfalt – konkret: niedrige Diversität (Monokultur): Fagus sylvatica L. (Rotbuche) mittlere Diversität: Fagus sylvatica  und Pseudotsugamenziesii (Douglasie) hohe   Diversität:   fünf   Baumarten   mit   der   Rotbuche,   Gemeine   Hainbuche,   Gemeine   Esche,   Stieleiche   und Europäische Lärche. Diese   Einteilung   wurde   in   enger   Zusammenarbeit   mit   der   lokalen   Forstverwaltung   vorgenommen.   Wichtig war   uns   dabei,   dass   die   Baumartenvielfalt   visuell   wahrnehmbar   war   –   das   heißt,   die   Probanden   sollten   die Diversität   der   Baumarten   vom   Sitzplatz   aus   erfassen   können.   Ziel   war   es,   erste   Hinweise   zu   sammeln,   ob   die wahrgenommene   Biodiversität   –   also   nicht   nur   die   objektive Artenzahl,   sondern   deren   sinnliche   Erfassbarkeit     einen   Einfluss   auf   die   gesundheitliche   Wirkung   des   Naturaufenthalts   hat.   Unsere   aktuelle   Auswertung   zeigt, dass    Wald    per    se    entspannend    wirkt,    also    hier    der    wunderschöne    Wienerwald,    im    Vergleich    zu    einer Stadtumgebung. Gleichzeitig   sank   der   negative Affekt   laut   Studie   im   Wald   um   etwa   12   %,   was   auf   eine   spürbare   Entlastung   von belastenden    Emotionen    hinweist.    In    der    städtischen    Gruppe    blieb    die    Stimmung    dagegen    weitgehend unverändert. dMP: Was sind in diesem Zusammenhang „belastende“ Emotionen? Ärger, Angst …? Dr.   Daniela   Haluza:   Der   Begriff   „negativer Affekt“   beschreibt   in   der   psychologischen   Forschung   eine   Skala   aus unangenehmen     Gefühlszuständen,     darunter:     Ärger,     Reizbarkeit,     Angst,     Anspannung,     Schuldgefühle, Nervosität, Traurigkeit oder Erschöpfung.
NACH OBEN
dMP:    Wenn    Sie    meinen,    Waldaufenthalte    „therapeutisch    zu    begleiten“,    schwächt    dieser    Zugang    die positive Wirkung nicht ab? Dr.   Daniela   Haluza:   Im   Gegenteil:   Therapeutisch   begleitete   Waldaufenthalte   können   die   Wirkung   sogar   ver- stärken,   indem   sie   die   Wahrnehmung   gezielt   lenken,   soziale   Sicherheit   bieten   und   reflektierende   Prozesse anregen.   Wichtig   ist   dabei   ein   niedrigschwelliger,   nicht-invasiver   Ansatz,   der   Raum   für   individuelles   Erleben lässt. dMP: Funktioniert der Stressabbau auch mit Simulation? Indem ich mir einen Naturfilm anschaue? Dr.   Daniela   Haluza:   Virtuelle   Natur   kann   bestimmte   Wirkungen   erzeugen   –   etwa   kurzzeitige   Erholung,   ästhe- tische   Anregung   oder   positive   Emotionen.   Studien   zeigen,   dass   Naturvideos   oder   VR-Anwendungen   subjektive Entspannung   fördern   können,   insbesondere   bei   Menschen   mit   eingeschränkter   Mobilität.   Die   physiologische Wirkung   –   etwa   auf   das   Cortisolniveau   –   ist   jedoch   deutlich   geringer   als   bei   realen   Naturaufenthalten. Unserer    Feldstudie    zufolge    ist    die    authentische    sensorische    Reizumgebung    des    Waldes    –    mit    Klima, Geräuschen,    Gerüchen    und    räumlicher    Tiefe    –    durch    virtuelle    Mittel    nur    begrenzt    substituierbar.    Für therapeutische    Ansätze    kann    digitale    Natur    aber    eine    ergänzende    Option    darstellen,    insbesondere    im klinischen Umfeld. dMP:  Herzlichen Dank für das Interview!
Die tägliche Therapiestunde: Schuhe an, Haustüre auf und los geht es … Wohlfühlfaktor: cinque stelle! Fotocredit: der MÜRZPANTHER
Diesmal habe ich noch einen kleinen Tipp für Wiener: Wenn Sie vor lauter Spaziergängern und Waldbadenden im Wienerwald keine Bäume mehr sehen, kommen Sie doch gerne zu uns in das Mürzer Oberland mit seiner vielfältigen Natur. Alleine die Vorfreude wird den „negativen Affekt“ bereits abschwächen. Ein Zimmer wird sich sicher finden, daneben haben wir die „natürliche Klimaanlage“ der Steiermark. Diese funktioniert im Sommer ab 19 Uhr und kühlt bis 8 Uhr am nächsten Tag durchgehend: Fenster auf, regionale Luft, saisonaler Duft und jahreszeitliches Vogelgezwitscher herein! Fotocredit: der MÜRZPANTHER